17. Karate-do LG mit Sensei Marchini und Sensei Restelli

24.06.2011 - Besonders freut uns, daß wir wieder eine Gruppe von Kindern aus dem Strassenkinderprojekt Concordia von Pater Sporschill aus Rumänien bei uns begrüßen dürfen, die während der kommenden 4 Tage unsere Gäste sein werden und eine kurze Auszeit aus ihrer sonst nicht so einfachen Situation geniessen können.

Donnerstag, 23. Juni...
Sensei Dario Marchini erarbeitete mit den Karateka aller Alters- und Graduierungsstufen einfach scheinende Kihon-Kombinationen, die aber in der vom Sensei erwarteten Form der Ausführung für alle neue intensive Erkenntnisse brachten. Besonders wichtig sind dabei die richtige Distanz und shisei, die Verbindung von Geist und Körper. Shisei ist neben Spannung (kincho) und Atmung (kokyu) eine der drei Grundsäulen der Übung in den Kampfkünsten. Ohne diese untrennbare Einheit der physischen und psychischen Haltung des Körpers werden die Techniken einfach nur zu sinnentlehrten Bewegungen, die mit Armen oder Beinen ausgeführt werden, aber keine Wirkung im Sinn der Kampfkunst haben. Daher muß jeder Karateka zu jedem Zeitpunkt diese Verbindung suchen und aufrechterhalten, was für viele Sportlerinnen und Sportler (unabhängig von der Graduierung) oft sehr schwierig ist. Dazu kommt, daß nur mit dieser Verbindung die notwendige Kraft ("Kime") in die Technik hineingebracht werden kann. Jeder, der sich auf diese intensive Art des Trainings gestern abend eingelassen hat, konnte mit einiger Sicherheit einen Unterschied zu seinem sonstigen Übungsverhalten erkennen.

Im zweiten Teil der Übungstunde wurden drei "Graduierungs-"Gruppen zusammengestellt, die unabhängig voneinander Kata und Bunkai erarbeiteten: die Dan-Grade übten unter Leitung von Sensei Marchini die Kata Jitte, Sensei Restelli erarbeitete mit der Ober- bzw. Mittelstufe Details von Heian Godan. Die Gruppe der Gelb- und Grüngurte verbesserte unter dem Kommando von Sensei Boccuni die Kenntnisse und Fertigkeiten von Heian Nidan.

Nach dieser langen ersten Übungseinheit waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwar sichtlich erschöpft von der Intensität der Übungen, doch auch sichtbar zufrieden mit dem persönlichen Erlebnis eines solchen gemeinsamen Lehrganges - wir freuen uns schon auf die Fortsetzung am Freitagabend!

Freitag, 24. Juni ...
Die Übungseinheit begann wieder mit Kihon, Sensei Marchini setzte die Partnerübungen des ersten Trainingsabends fort und vertiefte mit den Teilnehmerinnnen und Teilnehmern die technischen Feinheiten. Besonderes Augenmerk legten er wieder auf shisei, die Verbindung von Geist und Körper, die die eigentliche Grundlage des Karate do ist. Der Sensei betonte vor allem auch, daß während jeder Phase der gemeinsamen Übung diese Verbindung aufrecht erhalten werden muß, da sonst die notwendige Körperspannung sofort verloren geht und damit auch die Aufmerksamkeit ver-schwunden ist. Diese Umstände geben dem Gegner die besten Möglichkeiten für einen erfolgreichen Angriff...

Der zweite Teil des Abend war wieder dem intensiven Üben von Kata gewidmet. Gruppenweise wurden Heian Nidan mit Bunkai, Tekki Shodan und Kanku Sho erarbeitet und einzelne schwierige Passagen besonders genau studiert.

Es war wie erwartet wieder eine besonders tiefgehende Beschäftigung mit dem Geist und der Technik des Karate-do, der die Teilnehmerinnen und Teilnehmern in neue Dimensionen der Kampfkunst vordringen ließ!

Samstag, 25. Juni, vormittags...
Nach kurzer Einstimmung mit Grundtechniken erweitert Sensei Marchini den bisherigen Übungs-umfang und führt die Karateka schrittweise in ein wenig bekanntes Konzept: verschiedene uke mit dem Partner im Vorwärtsgehen. Dies wird zwar wenig geübt, ist aber insofern nicht ganz unbekannt, da ja z.B. in Heian Shodan und Heian Nidan die uke im Vorwärtsgehen ausgeführt werden. Als Höhepunkt verlangte der Sensei von den Braun- und Schwarzgürteln die Ausführung der Übung in Form von niju ipon kumite. Dabei werden 5x4 uke im Vorwärts- bzw. Rückwärtsgehen hinter-einander ausgeführt, wobei nach der uke-Form ein gyaku zuki ausgeführt wird. Mit dem Partner erfordert diese Form der Übung - obwohl einfach wirkend - höchste Konzentration und Aufmerksamkeit.

Besonders wichtig ist, eine bestimmte Form von Emotion und Zentralisierung in die Technik hineinzubringen, indem man immer die volle Kraft und Kime einsetzt. Diese Form der Emotion nennt man jushin, was übersetzt etwa "stabile Emotion, Schwerezentrum" bedeutet. Der Maestro nannte das bildhaft "...die Mathematik des Karate-do...": hier ist - im Gegensatz zur realen Mathematik - 99% näher bei Null als bei 100%, denn eine Technik ist nur dann wirksam und entspricht dem Geist und den Erfordernissen der Kampfkunst des Karate-do, wenn sie mit voller Kraft und vollem Willen (100%) ausgeführt wird - sonst ist sie null und nichtig...

In der anschließenden Kata-Einheit vertieften die Gruppen intensiv das Verständnis und die technischen Details der Kata Heian Sandan (Sensei Restelli), Bassai Dai (Sensei Boccuni) und Kanku Sho (Maestro Marchini), wobei zu einzelnen Abschnitten die entsprechenden Anwendungs-möglichkeiten erarbeitet wurden.

Samstag, 25. Juni, nachmittags...
Die Nachmittagseinheit eröffnete der Sensei mit einer Kombination von Arm- und Beintechniken, die nacheinander (wie eine traditionelle Kata) ausgeführt werden. Dies zeigt sich schon dadurch, daß am Beginn und am Ende jedes Durchganges der übliche respektvolle Gruß aus Musubi dachi in Form der Verbeugung erfolgt. Die gesamte Übung erfordert für jedes Leistungsniveau ein hohes Maß an Konzentration und korrekter Ausführung der Technik. Dies zeigt insbesondere ein Detail, das der Maestro bei den Braun- und Schwarzgürteln in den Mittelpunkt stellte: die Stellung bzw. Bewegung der Füsse (Fusssohlen): er wies darauf hin, daß jede Drehung auf der Ferse erfolgen muß und nicht - wie sehr häufig fehlerhaft ausgeführt - auf den Fußballen. Die "Hereinnahme" dieses Aspekts der (biomechanischen) Ausführung der Bewegungen in den einzelnen Stellungen brachte für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusätzliche Komplexität in die Übungsstunde.

Der zeitlich umfangreichere Teil der Nachmittagseinheit war wieder dem Studium der Kata und Bunkai gewidmet. Wie schon gewohnt, wurde in drei Gruppen Heian Yodan, Kankudai und Jiin - jeweils mit Bunkai - geübt. Im Rahmen dieses intensiven Trainings erfährt der Übende, was Funakoshi Gishin, der Gründer unserer Stilrichtung, im 9. Grundsatz des niju kun niedergeschrieben hat: "...Karate ist eine lebenslange Aufgabe...". Der Schüler erfährt dabei, welche Vielfalt wirklich in unserer Kampfkunst innewohnt und welchen Weg er/sie noch vor sich hat...dies ist aber kein Grund zur Resignation, sondern im Gegenteil: diese Erkenntnis ist das Motiv, fröhlich sein Do des Karate weiterzugehen...

Sonntag, 26. Juni...
Sensei Marchini setzte die Konzepte vom Vortag konsequent fort und begann wieder mit dem nun schon bekannten Kihon der Arm- und Beintechniken. Diese Übungen waren sozusagen die Vorbereitung des Körpers und des Geistes für das nachfolgende Kata-Training, das wieder in drei Gruppen ausgeführt wurde. Die Unter- und Mittelstufe arbeitete intensiv an Heian Godan (Sensei Boccuni), die Oberstufe übte Jion (Sensei Restelli) und die Dan-Träger beschäftigten sich unter Leitung des Maestro tiefgreifend mit Unsu.

Nach zwei körperlich und geistig anstrengenden Trainingsstunden endete der diesjährige Sommer-lehrgang - die Zeit ist eigentlich viel zu schnell vergangen. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben wiederum einen Lehrgang auf höchstem Karate-Niveau und eine Tiefe der Kampfkunst erleben dürfen, die weltweit wahrscheinlich einzigartig ist. Sensei Marchini hat uns gezeigt, was wahres Karate-do bedeutet und welche Weite in der Beschäftigung mit den einzelnen Techniken und den Kata liegt. Wir danken den Sensei für ihre Geduld und die Weitergabe ihres Wissens und Könnens und freuen uns schon auf den nächsten Lehrgang mit Maestro Marchini und Restelli im Oktober 2011 bei uns im Budokan.