Teil 1 des Bunkai-Lehrgangs...

10.04.2013 -

Traditionell wird Karate durch die drei Schwerpunkte
Kihon
, Kumite und Kata übermittelt.
Der eigentlich aus dem eigentlichen Sinn der Kampfkunst wesentliche Bestandteil Bunkai wird hingegen nur wenig geübt, obwohl gerade darin die eigentlichen Anwendungen zur Selbstverteidigung enthalten sind.
Historisch gesehen war Kata über Jahrhunderte die einzige Möglichkeit den
Charakter der Kampfkünste von Generation zu Generation weiter zu vererben. Im
Mittelalter, als es noch keine schriftlichen Überlieferungen der einzelnen
Techniken gab, war die Kata Hauptbestandteil des täglichen Trainings, weil sie alle Formen
der Technikschulung beinhaltet und Vorbereitung auf den realen Kampf ist. Unabhängig der Art
der jeweiligen Schule oder Kampfkunst, ob Schwertfechten, Speerkampf oder eben
Karate, bildete sie das Herz des betreffenden Systems.
Doch das Studium dieser Formen geht weit über des Erlernen der einzelnen
Techniken, dem korrekten Ablauf, Rhythmus und Atmung hinaus. Um das Wesen einer
Kata wirklich zu verstehen, ist es unumgänglich die Bedeutung der einzelnen
Formen zu erforschen, nachzuvollziehen, zu verstehen und diese auch zu
trainieren - als Kata Bunkai. Unabhängig vom Leistungsniveau des Karateke gibt es für die Ausführung
des Bunkai einige grundlegende Regeln:

Kontrolle: wichtig ist, daß der Karateka die verschiedenen Bewegungskombinationen wirklich beherrscht. Ebenso, wie mit der Zeit
die neu zu lernenden Kata in ihrem Schwierigkeitsgrad immer komplexer und
schwieriger werden, wächst auch der Anspruch an das Bunkai. Während in den niedrigen Kata  hauptsächlich Tsuki und Keri technische Schwerpunkte bilden, treten
in den Fortgeschrittenen- und Meisterkata deutlicher Tsukami ( Griff- ), Tobi (
Sprung- )und Nage waza (Wurftechniken) hinzu. Man sollte zum
Training stets realistische und effektive Interpretationen der Kata bevorzugen
und keine exotischen Experimente machen.


Atemi: - anders als im Wettkampf gibt es in der Kata für Angriffsziele
keine "Tabus". Die Trefferflächen sind nicht auf bestimmte Stellen des
Oberkörpers oder Kopfes beschränkt. Alle vitalen Punkte des menschlichen Körpers
werden in den Kata mit einbezogen. Man sollte besonderen Wert
auch auf Angriffsmöglichkeiten legen, welche normalerweise im regulären Training
vernachlässigt werden, wie etwa das Knie, Fußspann, Genitalbereich, Augen,
Gelenke, usw.

 
Distanz: Karate war ursprünglich eine Selbstverteidigungs- und keine
Kriegskunst, wie etwa das Schwertfechten oder das Bogenschießen. Dies hatte vor
allem für die Distanz (Maai) und das Verhalten zum Gegner eine besondere Bedeutung. Im traditionellen Karate wird überwiegend in mittlerer und naher Distanz gekämpft. Dies
beinhaltet vor allem Angriffsformen des "In-fights", wie
hiza geri, fumi komi
oder
empi uchi, Griffe und Hebel, Würfe und Fegetechniken - Techniken wie sie
alle Kata beinhalten. Besonders im Bunkai sollte man daher auf diese Bewegungen großen
Wert legen, da sie häufig Schlüsselpositionen zum Verstehen der jeweiligen Form
beinhalten. Man findet diese Techniken in direkter oder verschlüsselter Form in
allen Kata, insbesondere aber in denen der fortgeschritteneren Stufen.


Zanshin: anders als im Kumite, wo man meist nur einen Partner als Widersacher
hat sind die meisten Kata als Übungsformen gegen mehrere imaginäre Gegner aus
verschiedenen Himmelsrichtungen ausgelegt. Frontal, aus rückwärtiger Richtung
oder seitlich sind Angriffe zu erwarten und man muß dementsprechend reagieren.
Dies setzt ein anderes Sehen
und damit eine umfassende Aufmerksamkeit nach allen Seiten voraus. Erst dieses Verhalten ermöglicht, auf unterschiedliche Angriffe zu reagieren und zudem noch die
eigene Position so zu wählen, daß man selbst eine vorteilhafte Ausgangsposition für die eigene Abwehr einnehmen kann.


Verschlüsselte Techniken:  die Bedeutung einzelner Techniken entspricht in der Kata nicht immer ihrer
herkömmlichen Bestimmung. So ist es nicht unüblich im Bunkai die
"nebensächliche" hikite-Bewegung einer Technik als Griff- und Zugbewegung
einzusetzen um einen Gegner unter Kontrolle zu halten. Abwehrbewegungen werden
zu Angriffen und und umgekehrt, tsuki und uchi werden zu Schub- oder Stoßtechniken. In Verbindung mit Körpereinsatz und Griff- oder Zugmanövern werden aus
Wendungen oder Abwehren wirkungsvolle Wurf- oder Hebeltechniken. Die Fülle der
Möglichkeiten ist unerschöpflich.


In dieser ersten Übungseinheit stand die Kata Heian Nidan im Zentrum der Bunkai-Betrachtungen. Nach einer gemeinsamen Ausführung der Kata begann der Sensei gleich mit den ersten Anwendungen und zeigte den Karateka die grundlegenden Bewegungsformen aus den ersten Technikkombinationen. Diese Anwendungsteile wurden dann mit dem Partner geübt und vertieft bearbeitet. Besonderes Augenmerk legte Sensei Mayr auf die weiter oben angeführten Punkte, wie Distanz, Zanshin und Atemi-Punkte. Ganz wesentlich bei dieser Übungsform ist, die jeweilge Technikkombination so auszuführen, daß ein Maximum der eigenen körperlichen Voraussetzungen (Größe, Beweglichkeit, ...) ausgeschöpft wird. Nur so ist möglich, für und mit sich selbst die Wirksamkeit der Anwendung zu erkennen und "einzutrainieren". Ein zweiter wichtiger Punkte ist, daß der Partner die Angriffe ebenso korrekt und ernsthaft ausführt, sodaß man selbst gezwungen wird, die Abwehr ebenso ernsthaft anzulegen.

Dieser erste Abend hat bereits einen höchst interessanten und spannenden Einblick in die Welt des Bunkai ermöglicht und erhöht die Vorfreude auf die nächsten Übungseinheiten - herzlichen Dank an Sensei Mayr für seine intensive Unterweisung!