Der 22. Karate-do-Lehrgang ging zu Ende...

19.10.2012 -

Freitag, 19. Oktober 2012:
Wir mussten in den Turnsaal der Volkschule ausweichen, weil zeitgleich und schon lange geplant im Dojo im Budokan ein Judo-Bundesliga-Kampf ausgetragen wurde.
Die ungewohnte Umgebung verursachte aber beim Trainingseifer keine Einbuße, zumal ein ausgezeichnet gelaunter Sensei Marchini mit einer mindestens so fröhlichen Sensei Cristina Restelli alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Beginn an gleich auf die richtige Betriebstemperatur brachten.
Sensei Marchini begann die 2stündige Übungseinheit mit einem Kihon, das zwar aus scheinbar einfachen Grundtechniken besteht, aber mit der richtigen Einstellung in der Ausführung bei den meisten Karateka neue Dimensionen des Verständnisses für unsere Kampfkunst hervorbrachte. Der Meister wies insbesondere darauf hin, daß die Ausführung der Übungen mit dem Partner eine intensive Zusammenarbeit beider Übenden erfordert, wenn nur einer der beiden schlampig oder unaufmerksam ist, dann wird die gesamte Übung wertlos. Besonderes Augenmerk liegt - wie an dieser Stelle schon oft angemerkt - in der richtigen Distanz: Maai ist neben Kime unabdingbar für die erfolgreiche Ausführung einer Abwehr oder eines Angriffes.
Immer wieder wies der Sensei auf diese wichtigen Punkte hin und zeigte die korrekte Ausführung mit Sensei Restelli vor. Diese Demonstrationen führten die anwesenden Deshi in eine neue Erkenntnisebene, es war einfach für alle Anwesenden zu spüren, welche Kraft, Präzision, Kime und Konzentration die beiden Sensei zeigen.
Ein wichtiger Aspekt wurde durch die Anleitung von Sensei Marchini und seine Erklärungen deutlich: nur durch fortwährende Wiederholungen lernen Körper und Geist gleichermassen die Bewegungsabläufe korrekt und mit der richtigen "Idee" auszuführen. Sein Zitat "...die Mutter aller Künste ist die Wiederholung..." unterstreicht diese Erkenntnis nur noch zusätzlich. Kein Musiker oder Schauspieler, kein Maler oder Bildhauer kann ohne vielfache Wiederholung des Gleichen eine hohe Form an Meisterschaft in seiner Kunst erreichen - genau so wahr ist, daß man wirksames Karate do nicht aus Büchern oder Youtube-Videos lernen kann, sondern nur durch die fortwährende Wiederholung.

Im zweiten Teil des Trainings erarbeitete Sensei Marchini mit uns eine Reihe von Bunkai-Sequenzen, die sich am Ende zur Kata Heian Oyo zusammenfügten. Besonders beim Bunkai wird dann ersichtlich, ob die erlernten Techniken auch im Sinn des Karate do wirksam oder zur Verteidigung geeignet wären.  Die Übungen wurden jeweils gemeinsam mit dem Partner als Tori und Uke in der gewohnten Aufstellungsform ausgeführt, zuerst der betreffende Teil der Kata, dann das Bunkai. Zum Abschluss des Abends setzte der Meister die Übung dann zur gesamten Kata zusammen und beendete die intensive Trainingseinheit mit einer gemeinsamen Ausführung von Heian Oyo. Den Abschluss des ersten gemeinsamen Abends bildete dann wie gewohnt die gemeinsame Meditation mit der eindrucksvollen Rezitation des Dojo kun durch Sensei Stefan Mayr.

Samstag, 20. Oktober 2012:
In der Trainingseinheit vom Vormittag werden die am Vortag erarbeiteten Konzepte erweitert und vertieft. Wiederum stehen die schon bekannten zentralen Punkte Distanz, Konzentration, kime und zanshin im Mittelpunkt der Übungen. Kihon - übersetzt bedeutet das Wort ja Quelle, Ursprung  - ist tatsächlich der Ausgangspunkt allen Könnens im Karate-do. Sensei Marchini demonstrierte uns sehr eindrucksvoll seine Idee zu den einzelnen Technikkombinationen und er zeigt uns immer wieder, welchen Unterschied es macht, wenn die Übung nur halbherzig ausgeführt wird, auch wenn man sie in der ersten Lernstufe langsam versucht. Insbesondere führte er uns vor Augen, daß bei vielen von uns nur unzureichende Vorstellungen über einen realistischen Kampfablauf vorliegen, indem beispielsweise uke bei einem Treffer nicht zurückweicht...wenn man sich auch nur ein einfaches Kampfgeschehen konzentriert vorstellt, dann wird uke zurückweichen, wenn der eigene Angriff mit kime und entsprechend selbstbewußt vorgetragen wird. Wenn man sich dann auf diese weitaus realistischere Form der Übung einläßt, werden maai und zanshin plötzlich auch in einer neuen Art wahrgenommen und das Partnertraining erreicht eine völlig andere Dimension.
Im zweiten Teil der Vormittagseinheit wurde dann in zwei Gruppen Kata mit Bunkai geübt. Die Mittel- bzw. Oberstufe erarbeitete unter Leitung von Sensei Restelli Tekki Shodan, mit den Dan-Trägern übte Sensei Marchini Gankaku. Das besondere an der gewählten Übungsform ist die Verbindung von Kata- und Bunkai-Sequenzen in der Form kata engi bunkai, wobei abwechselnd Kata und Bunkai in einem fliessenden Ablauf ausgeführt werden.

Nach einer notwendigen längeren Pause wurden am Nachmittag die Übungen im Kihon fortgesetzt und nocheinmal erweitert. Auch hier ging es vorwiegend um die nützliche Distanz maai. Der Sensei zeigte uns den Unterschied zwischen to-ma (weite, lange Distanz), teki-ma (mittlere Distanz) und chika-ma (kurze Distanz). Jede Distanz hat ihre möglichen und wirkungsvollen Techniken, die Überwindung von größeren Distanzen erfordert vom Karateka hohes technisches Verständnis und lange Übung. Eine wesentliche Komponente des Kampfes ist die Aufrechterhaltung von zanshin nach der Ausführung der Techniken. Zahshin steht ja für Wachsamkeit, Bereitschaft, Geistesgegenwart, nichthaftende Aufmerksamkeit. Und dieser wache Zustand muß am Ende der Ausführung unabdingbar noch weiter aufrechterhalten werden, sonst droht große Gefahr....und zanshin wird auch in jeder Kata am Ende zusätzlich geübt, indem ja vom Karateka verlagt wird, die Aufmerksamkeit und Körperspannung über das Ende der Kata hinaus aufrechtzuerhalten und damit vollkommen bereit für einen eventuell nachfolgenden weiteren Angriff zu sein. Wenn man dieses Konzept verinnerlicht hat, dann ändert sich tatsächlich jede Ausführung von Übungen mit dem Partner und die Kampfkunst wird plötzlich in einer neuen Form lebendig.
Im zweiten Teil der Nachmittagsstunde wurden in den beiden Gruppen dann wieder die Erarbeitung von Kata mit Bunkai weitergeführt und intensiv mit dem Partner geübt. Sensei Marchini erklärte und demonstrierte uns, daß das stetige Streben nach Harmonie ein wesentlicher Punkt im Leben jedes Menschen ist. Und dieses Streben nach Harmonie ist auch ein ganz zentraler Punkt in der Übung des Karate-do: die einzelnen Körperregionen zueinander, die Atmung, der Geist, alles muß in Harmonie sein, damit ein hohes technisches Niveau und eine hohe geistige Ebene erreicht werden kann - dies zeigt nicht zuletzt auch die Silbe ai - Harmonie - die ja in vielen Ausdrücken von fernöstlichen Kampfkünsten enthalten ist, man denke z.B. nur an die Begriffe kiai, maai, aikido, etc.

Sonntag, 21. Oktober 2012

Das Training beginnt pünktlich um 9 Uhr mit der gemeinsamen Meditation. Anschließend werden im Kihon-Teil die Lehrgangsthemen mit der Übung des ushiro geri mit dem Partner fortgeführt. Wiederum weißt der Sensei auf die wichtigen Punkte hin, an denen während dieser drei Tage intensiv gearbeitet wurde: die richtige, nützliche Distanz maai, kime, zanshin, etc. Die Techniken wurden mit dem Partner ausgeführt und dabei wies Sensei Marchini darauf hin, daß gerade diese Form der Übung eine wesentliche Grundlage der eigenen Erfahrung der beiden Übenden ist. Nur wenn der tori seinen Angriff korrekt und mit kime ausführt UND uke die Technik aufmerksam "empfängt", haben beide die richtigen Erkenntnisse zum Thema "Wirksamkeit". Dabei müssen sich beide Partner voll konzentrieren und dauernd bei der Sache sein, sonst können sie keinen Nutzen aus der Übung ziehen.

Im zweiten Teil der abschließenden Trainingsstunde wurde wieder in zwei Gruppen Kata mit Bunkai geübt. Mittel- und Oberstufe beschäftigten sich mit Bassai Dai, die Dan-Abteilung arbeitete intensiv an Nijushiho kizo bunkai.

Alle an diesem Lehrgang teilnehmenden Karateka haben in den drei Tagen nun drei grunglegende Formen der Übung von Bunkai gesehen und geübt: am Freitag engi bunkai, am Samstag oyo bunkai und heute als Abrundung noch kizo bunkai. Diese Entwicklung entspricht auch dem pädagogischen Grundsatz "...vom Einfachen zum Schweren..." und es wird damit auch klar, daß auch die Übung von Bunkai auf einer grundlegenden Verständnisstufe beginnt und im Lauf der Zeit weiterentwickelt und vertieft werden muß. Sensei Marchini zeigte uns auch sehr nachvollziehbar, daß man mit diesen Bunkai-Trainingskonzepten auch die eigene Ausführungsqualität der Kata überprüfen und sich somit weiterentwickeln kann.

Die drei intensiven Trainingstage waren wieder voll von neuen Erkenntnissen und Trainings- erlebnissen und haben uns wiederum eine vertiefte Idee gegeben, welche Breite und Tiefe der Übung im Karate-do innewohnt und welche Wegstrecke noch vor uns liegt - wir bedanken uns herzlich bei Sensei Marchini und Restelli und freuen uns schon auf den nächsten Lehrgang im Jänner 2013!

...Ein herzliches Danke an Pepi Derflinger für die nachfolgende Foto-Dokumentation...