Der 18. Sommerlehrgang hat begonnen...

28.06.2012 - Nach der gemeinsamen Meditation eröffnete Sensei Marchini das Training mit gemeinsamen Kihon. Es waren einfache Übungen, doch zeigte uns Maestro Marchini wieder eindrucksvoll, welche Bedeutung die korrekte Ausführung für die Wirksamkeit der Technik hat. Insbesondere die Spannung des gesamten Körpers ausgehend vom Hara ist der Ausgangspunkt, der einer Arm- oder Beintechnik ihre Kraft gibt. So ist auch die richtige Haltung bzw. Spannung des Unterarmes und der Faust unabdingbar, um eine Wirkung zu erzielen. Dazu kommt die Entschlossenheit der Ausführung, auch wenn man zur Übung die Technik langsam ausführt. "Langsam" bedeutet aus diesem Übungsverständnis heraus keinesfalls "...ohne Spannung und Kraft..." sondern im Gegenteil: es ist sehr schwierig und schweißtreibend, eine Bewegungskombination langsam aber mit Kime zu üben. Der Sensei wies auch darauf hin, daß die Geschwindigkeit einer Technikkombination vor allem dadurch erreicht wird, wenn die erste Technik (die im Normalfall auch eine Schrittfolge beinhaltet) maximal schnell ausgeführt wird.

Im zweiten Teil der Abendeinheit wurde in Graduierungsgruppen Kata mit Bunkai geübt: mit der Unterstufe arbeitete Sensei Boccuni intensiv an Heian Shodan, die Mittel- und Oberstufe übte unter Leitung von Sensei Restelli Tekki Shodan. Sensei Marchini erarbeitete mit den Dan-Trägern die kürzeste Kata des Shotokan, Wankan ("Königskrone") Obwohl diese Kata über nicht sehr viele Techniken verfügt (insgesamt 16, nur ein Kiai zum Schluß) und sehr einfach aussieht, zeigte uns der Sensei, welche technischen Herausforderungen und Details dieser Kata innewohnen. Auch das nachfolgende - scheinbar so einfache - Bunkai wird nur lebendig, wenn der Karateka mit voller Konzentration und dem Willen zur korrekten Ausführung mit vollem Hara-Einsatz bei der Sache ist. Dies zeigte sich sofort bei den ersten kurzen Bunkai -Sequenzen von Wankan in sehr deutlicher Art und Weise.

Schon dieser erste Übungsabend zeigte uns wieder in beeindruckender Weise, welche Tiefe in unserem traditionellen Karate do innewohnt und welches Karateübungsfest alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den nächsten Tagen noch erwartet!


Freitag, 29. Juni, der zweite Trainingsabend...


Die Übungseinheit beginnt wieder mit einfachem Kihon: Sensei Marchini wiederholt die Kombi- nationen des ersten Abends und erweitert das Programm um die Standard-Beintechniken.
Dabei geht er besonders intensiv auf die Position der Füsse am Boden ein und zeigt den Karateka eindrucksvoll, wieviele kleine, aber völlig unnötige Bewegungen gerade mit den Füssen vom Knöchel abwärts unbewußt gemacht werden. Dadurch wird es schwierig, die korrekte Distanz zu halten oder Hara richtig einzusetzen, weil der Körper kein (im Sinn des Karatedo) in sich geschlossenes System mit hoher Spannung und Konzentration bilden kann. Hier weist uns Maestro Marchini auf ein wichtiges Prinzip des traditonellen Karate do hin: "Ten jin shi ", was man in etwa mit "Himmel - Mensch - Erde" übersetzen könnte. Im Prinzip geht es darum, daß der Karateka sich als Mensch zwischen Himmel und Erde sieht und dadurch seine Stellungswechsel in der notwendigen korrekten Form ausführt. Dies bedeutet z.B. daß es beim Wechsel von zenkutsu nach kiba- oder kokutsu dachi keine vertikalen sondern nur horizontale Bewegungen gibt: das "Hochgehen" beim Stellungswechsel mag zwar ein wenig kraftschonender sein, doch verändert es Schwerpunkt und Hara-Einsatz und unterbricht somit die notwendige Körperspannung. Die Folge ist, daß sich der gesamte Körper nicht einem sicheren und stabilen Gesamtzustand befindet und die "Bodenhaftung" nur sehr bedingt vorhanden ist - im Übrigen fehlt auch die notwendige Konzentration...

Die keri werden zuerst wieder alleine, dann mit Unterstützung des Partners ausgeführt. Essentiell bei diesen gemeinsamen Übungen ist der korrekte Abstand "Ma ai" - die "richtige" Distanz für die Ausführung der Technik. Es ist ein schwieriger persönlicher Lernprozess, in jeder Situation Ma ai einzunehmen und damit überhaupt die Ausgangsbasis für eine wirksame Technik zu schaffen; und gerade bei der Partnerübung müssen beide Partner aufeinander eingehen und mit hoher Konzen- tration ihren Beitrag zum Gelingen der Übung leisten. Die Beintechniken wurden dann in der Partnerübung noch erweitert durch Blocks mit Körperdrehungen (tenshin bzw. tai sabaki). Alle Karateka erlebten intensiv, welche Komplexität eigentlich in diesen scheinbar so einfachen Übungen steckt.

Nach einer kurzen Pause wurden wieder Graduierungsgruppen gebildet. Bei der Unterstufe stand Heian Nidan am Programm, Mittel- und Oberstufe übten unter Sensei Marchini Bassai Dai, die Dan-Abteilung erarbeitete mit Sensei Restelli Empi ojo bunkai.

Auch dieser zweite Trainingsabend war wieder voller intensiver Eindrücke und persönlicher Erfahr- ungen. Es ist immer wieder toll zu erleben, welche Fülle an Feinheiten und Details in der einzelnen Bewegungssequenz enthalten sind. Aus dieser Betrachungsweise erhält Regel Nummer 9 aus dem Shoto Nijukun besondere Bedeutung: "Karate no shugyo wa issho de aru" ... ("Karate üben ist eine lebenslange Aufgabe, darin gibt es keine Grenzen").

Samstag, 30. Juni, der dritte Trainingstag...

In der Vormittagseinheit werden die Kihon-Übungen der Vortage nun kombiniert und gemeinsam mit dem Partner geübt. Wieder liegt der Schwerpunkt auf den grundlegenden Dingen: richtige Distanz, korrekte Ausführung jeder Phase der Techniken, Körperspannung, Blick, höchste Konzentration, Zusammenspiel der beiden übenden Karateka...
Sensei Marchini weist besonders darauf hin, daß diese Form von Kihon die Grundlage für ein realistisches und wirksames Kumite ist. Im Kumite darf es kein Nachdenken darüber geben, auf welche Seite vielleicht tenshin ausgeführt werden muß, sondern der Körper muss blitzschnell vorausahnend die richtige Position einnehmen. Diese Fertigkeit wird nur durch durch ständige Wiederholung unter höchster Konzentration erreicht, was dann nach intensivem Training eine Form von "Körperintelligenz" herausbildet, die dem Karateka das richtige "vorausahnende" Agieren in der Kampfsituation ermöglicht.
Eine weitere wichtige Erkenntnis dieses Kihon war die des richtigen Rhythmus: es kommt wesentlich darauf an, die zweite Technik dieser Kombinationen unmittelbar und mit vollem Kime auszuführen und damit dem Gegner keinerlei Raum für einen Gegenangriff nach Abwehr der ersten Technik (z.B. Keri) zu lassen. Es darf hier also keine Pause im Ablauf geben, sonst erfolgt realistisch betrachtet sofort eine entsprechend gefährliche Aktion des Gegners. Bei der abschließenden Demonstration wies uns der Sensei noch auf einen Umstand hin, der häufig im Training wenig beachtet wird: die eigene Reaktion besteht im Rahmen einer Abwehr häufig einfach im Zurück- gehen. Eigentlich sollte aber die eigene Bewegung auch in der Abwehr nach vorne gerichtet sein, was aber (vor allem auch im Kopf...) schwierig ist und daher neben der Erkenntnis der ständigen Übung bedarf.

Nach einer kurzen Pause wurden danach wieder Graduierungsgruppen gebildet. Bei der Unterstufe stand Heian Nidan mit Bunkai am Programm, Mittel- und Oberstufe übten unter Sensei Boccuni Bassai Dai Bunkai, die Dan-Abteilung erarbeitete mit Sensei Marchini Hangetsu mit Bunkai. Hier zeigte uns der Sensei den Unterschied, wenn man Kata ausführt oder sich in der Ausführung den Kampf wirklich vorstellt. Diese zusätzliche Kraft wurde dann für alle Karateka und Zuschauer bei der letzten gemeinsamen Demonstration unmittelbar sichtbar und spürbar - es war ein besonderer Geist, der da im Dojo war...

Nach der anstrengenden Übungseinheit des Vormittags gab es ein wohlverdiente Mittagsrast bei ausgezeichneten Grillhenderln und gut gekühlten Getränken, danach dann individuelle Pausen in der Sonne oder im Schatten des Dojo.

In der letzten Trainingseinheit am Nachmittag übten alle Karateka zur Einstimmung eine Technik- und Bewegungskombination, die am Embusen der Taikyoku-Kata eine Reihe von unterschiedlichen Arm- und Beintechniken miteinander als Kata integriert.  
Anschließend erfolgte dann wieder Kata-Spezialtraining in den Gruppen. Die Unterstufe übte Heian Sandan und Yondan, Mittel- und Oberstufe beschäftigten sich mit Jion und Bunkai. Die Dan-Träger erarbeiteten in der ersten Einheit Bassai Sho mit Bunkai (Sensei Boccuni), in der zweiten Einheit war die Kata Chinte ("seltsame Hände") die Basis für ein tiefgreifendes Bunkai-Studium, das viele wichtige Aspekte der Selbstverteidigung aufzeigte. Sensei Marchini verstand es wiederum ausge- zeichnet, alle Karateka zu höchstem Einsatz und Koenzentration zu führen und achtete auf jedes Detail während der Bewegungsausführung. Es ist immer wieder toll zu erleben, welchen Einfluß selbst kleinste Details auf die Gesamtqualität und Wirkung der Technik ausüben. Ein wesentlicher Schwerpunkt in diesem Training war - wie schon am gesamten Lehrgang - das richtige Timing, ein Aspekt, der im Training sehr leicht vernachlässigt wird und so zu eigentlich unrealistischem Ver- halten führen. In eindrucksvollen Demonstrationen zeigte uns Sensei Marchini, welcher Unterschied zwischen richtigem und falschem Timing im Kumite besteht. So sind bei Verteidigung und Angriff Ma ai (die richtige Distanz), zanshin (Wachsamkeit, Bereitschaft, Geistes- gegenwart) und das richtige Timing gemeinsam unabdingbar für eine erfolgreichen Technikeinsatz des Karateka.

Sonntag, 1. Juli...der vierte Trainingstag...

Im Mittelpunkt dieser letzten Trainingsstunde des 18. Sommerlehrganges stand wieder intensives Studium von Kata und Bunkai. Vorher aber übte Sensei Marchini mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Kihon-Kata aus den vergangenen Tagen. Diese Kata haben einerseits den Zweck, den Körper aufzuwärmen und vorzubereiten, andererseits sind sie eine ausgezeichnete Möglichkeit für den Karateka, seine Technik und den Einsatz von Hara zu verbessern und so seinen Körper noch besser kennen zu lernen.

Zum Kata-Training wurden wieder die üblichen Gruppen gebildet. Die Gelb-, Orange- und Grüngürtel übten Heian Yondan mit Bunkai und danach erhielten sie eine Einführung in Heian Godan. Die Blau-, Violett- und Braungürtel studierten intensiv Kanku Dai mit verschiedenen Bunkai- Möglich- keiten. Die Dan-Träger tauchten tief ein in Niju Shiho und Gojushiho Sho. Sensei Marchini arbeitete mit uns vor allem an scheinbaren Nebensächlichkeiten in den Bewegungen, vor allem in den Positionswechseln. Er begründete seine Demonstrationen immer wieder mit möglichen Angriffs- positionen oder ~bewegungen eines Gegners. Damit wird schnell sehr transparent, daß es einen großen Unterschied zwischen der Kata selbst und ihrer Wettkampfversion gibt. Wettkampf ist zwar auch ein wichtiger Bestandteil im heutigen Karate do, aber es wird mit unserer Form des Trainings auch klar, daß das eigentliche Ziel des Studiums die Kata selbst und ihre vielfältigen Anwendungs- möglichkeiten sind. Dieser Unterschied zeigte sich vor allem bei der Übung von Gojushiho Sho, die zwar oberflächlich betrachtet "leicht" aussieht und als Form erlernbar ist. Wenn man sich jedoch die Ausführung unter dem Aspekt der Verteidigung bzw. des Angriffes vorstellt, dann bekommen die einzelnen Bewegungen (vor allem mit den Beinen) völlig neue Dimensionen in der Erkenntnislage des Karateka.

Zentrale Inhalte dieses 18. Sommerlehrganges waren Ma ai (die nützliche Distanz), Rhythmus und Timing, sowie das Üben mit dem Partner. Die Sensei Marchini, Restelli und Boccuni verstandes es wieder ausgezeichnet, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu begeistern und eröffneten uns wieder eine Fülle neuer Aspekte und Erkenntnisse. Wir hatten wiederum die Möglichkeit, vier Tage lang an einem intensiven Karatestudium der absoluten Spitzenklasse teilzunehmen und unseren Weg im Karate weiterzugehen. Dieser Weg und der Unterschied zum Sportkarate war nicht nur für die Karateka intensiv erlebbar, sondern auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer deutlich sichtbar. Dazu kommt, dass wir bei uns den Vorzug geniessen, die Weg-Übungen im tollen Ambi- ente des Budokan ausführen zu können, was noch eine zusätzliche intensive Erlebniserweiterung ermöglicht.

Am Ende des Lehrganges zeigten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Emotionen durch langanhaltenden Applaus für die Sensei, es war wirklich ein toller Lehrgang, der die Motivation des richtigen Weges wieder mehr als deutlich unterstützt hat.

Wir danken den Sensei aus Mailand für ihre intensive Arbeit mit uns, für das (Mit-)Teilen ihres Wissensm, ihre Geduld und Kraft. Weiters danken wir den "unsichtbaren fleissigen Händen hinter den Kulissen", die die rumänischen Waisenkinder betreut haben oder an der Abendkasse gesessen sind oder fotografiert haben, sowie unserem Sensei Ewald Roth, dessen 40jährige Karate-Arbeit uns allen diesen Zugang zum Karate do ermöglicht - weitergehen am Weg muß allerdings jeder selbst... ;-)

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